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Raúl Fornet-Betancourt (Hg.)

Interkulturalität, Gender und Bildung

Dokumentation des V. Internationalen Kongresses für Interkulturelle Philosophie

Raúl Fornet-Betancourt (Hg.):
Interculturality, Gender and Education / Interkulturalität, Gender und Bildung / Interculturalidad, Género y Educación / Interculturalité, Genre et Éducation.
Dokumentation des V. Internationalen Kongresses für Interkulturelle Philosophie
.
Frankfurt/M.: IKO, 2004.
(Denktraditionen im Dialog: Studien zur Befreiung und Interkulturalität 19)
340 Seiten
ISBN 3-88939-736-0
book cover
Verlag für Interkulturelle Kommunikation:
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Eine der Leistungen des Gender-Denkens ist der Beginn eines Bruchs mit dem Diskurs über die sexuelle Differenz und seiner Interpretation des Männlichen und Weiblichen, ein Diskurs, der auschließlich aus der alleinigen – und daher einseitigen – Perspektive der Männer auf Kosten der Verneinung und Verdinglichung der Frauen geführt wird.

Diana de
Vallescar Palanca
(182)

Der Band setzt sich – auf dem Hintergrund der Diskurse der Interkulturalität, der Befreiungsphilosophie sowie der Gender-Perspektive – mit den an den akademischen Institutionen etablierten Lehrplänen für Philosophie auseinander. Das grundlegende Problem, um das es in den Diskussionen über die verschiedenen Lehrpläne geht, ist »eine bestimmte philosophische Kultur, die sich jenseits aller Unterschiede wähnt, die aber in Wirklichkeit ein ganz bestimmtes kontextualisiertes Paradigma fortschreibt und universalisiert: die abendländische Philosophie, die zum größten Teil von Männern hervorgebracht worden ist« (Josef Estermann, 12). In welcher Weise diesem – schwer fassbaren, aber in der Tat höchst wirksamen – Problem »philosophischer Kultur« begegnet werden kann, wird auf sorgfältige Weise aufgearbeitet: durch zwei einführende Stellungnahmen, sieben Hauptreferate und sechs Beiträge aus den Arbeitsgruppen, die zum überwiegenden Teil in englischer und spanischer Sprache verfasst sind.

Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, ist die Ökonomisierung der Universitäten im Allgemeinen und des Philosophiestudiums im Besonderen. So konstatiert etwa Albert Kasanda Lumembu, dass die Ausrichtung auf Rentabilität und instrumenteller Effizienz den wahrheitssuchenden Charakter des Philosophieunterrichts korrumpiert habe (54). Konkrete Auswirkungen beschreibt Hyondok Choe: Kurse, die nicht direkt der Berufsvorbereitung dienen, werden kaum besucht und können teilweise nicht mehr angeboten werden (118). Noch drastischer zeigt Vincent G. Furtado diese Entwicklung aus indischer Perspektive auf: Es gelte nun, taugliche Studenten für den Arbeitsmarkt zu produzieren, und dort zähle einzig der Profit (227).

Der Beitrag, den interkulturelles und gender-spezifisches Philosophieren leistet, besteht – wie Raúl Fornet-Betancourt einleitend aufzeigt – zuerst in der Freilegung dessen, was im herrschenden System verschwiegen und unsichtbar gemacht wird. Die Dimension des Interkulturellen erschöpft sich nicht in »Information« oder »Bereicherung«, sondern drängt zu einer umfassenden Veränderung, einer »Transformation«, wie Raimon Panikkar sagt (29). Philosophie in interkultureller Orientierung entwickelt ein kritisches Bewusstsein, versteht sich als »Befreiungswissen« (Albert Kasanda Lumembu, 66) und bewirkt eine »echte Transformation der soziokulturellen Mentalitäten und Strukturen« (Albertine Tshibilondi Ngoyi, 84). Angesichts der Vorherrschaft instrumenteller Vernunft, die rein strategisch vorangeht und sich an der Effizienz ökonomischer Modelle orientiert, ist interkulturelles Philosophieren herausgefordert – wie Ricardo Salas Astrain am Kontext Lateinamerikas verdeutlicht –, die konkreten historischen Erfahrungen, die symbolischen Netze der Lebenswelt(en), die Dimension des Ökologischen sowie ethische und politische Überzeugungen als innere Momente einer philosophischen Denkform (und nicht bloß als auch noch zu berücksichtigende Aspekte) zu begreifen (148).

Das, was Dina Picotti »Metaphysik der westlichen Vernunft« (178) nennt und schon Raimon Panikkar in seinem Beitrag als »monokulturelle Mythen« (32) bezeichnete (nämlich die Prinzipien des analytischen und begrifflichen Denkens sowie das Monopol verschriftlichter Philosophie), erweist sich in der Tat als falsche Verabsolutierung, die von einem umfassenderen – der Situation der Menschen in der heutigen Welt angemessenen – Begriff der »Universalität« abgelöst werden muss, wie ihn María José Fariñas Dulce mit Blick auf eine Reihe von lateinamerikanischen Entwürfen vorstellt: ein Universalismus, der die kulturellen Differenzen und Unterschiede anerkennt (264).

Zur Ermöglichung einer solchen erneuerten, poly-logischen Form philosophischen Denkens trägt der Gender-Diskurs entscheidend bei, wie in vielen Beiträgen deutlich wird. Gegen die in vielen Teilen der Welt dominierende »Phallosophie« (Albertine Tshibilondi Ngoyi, 75) und der daraus folgenden »Gender-Blindheit« (Hyondok Choe, 122) gilt es, die »Normalität« eines nur von Männern definierten philosophischen Diskurses zu dekonstruieren, Philosophinnen in ihrem Denken und ihrer historisch-politischen Relevanz sichtbar zu machen und vor allem einen jahrhundertelang geltenden – wenngleich schwer fassbaren – androzentrischen Ordnungsrahmen menschlicher Rationalität zu verlassen.

Franz Gmainer-Pranzl

polylog. Forum für interkulturelle Philosophie 6 (2005).
Online: http://lit.polylog.org/6/sgffr-de.htm
ISSN 1616-2943
Quelle: external linkpolylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 13 (2005), 130-131.
Autor: Franz Gmainer-Pranzl, Salzburg (Österreich)
© 2005 Autor & polylog e.V.
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