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Iris Därmann, Steffi Hobuß & Ulrich Lölke (Hg.)

Konversionen

Fremderfahrungen in ethnologischer und interkultureller Perspektive

Iris Därmann / Steffi Hobuß / Ulrich Lölke (Hg.):
Konversionen. Fremderfahrungen in ethnologischer und interkultureller Perspektive.
Amsterdam – New York: Rodopi, 2004.
(Studien zur interkulturellen Philosophie 13)
259 Seiten
ISBN 90-420-1953-0
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Editions Rodopi:
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»Offensichtlich sind in der Philosophiegeschichte wie auch im Selbstverständnis der abendländischen Philosophie die Zeichen dieser Kulturkontakte verwischt worden. Ihre Erinnerungen sind überschrieben, und die Bereitschaft scheint gering, die Bedeutung dieser ›Ereignisse‹ anzuerkennen bzw. zu repräsentieren. Übersetzungen zwischen Kulturen in der Philosophie finden kaum Erwähnung.«

Ulrich Lölke
(195)

Möglichkeiten, das »Fremde« abzuwehren, zu verdrängen oder zu assimilieren, gibt es viele: »die analytische Abwehr (nach dem Muster: ›ein Anderes des Denkens lässt sich nicht denken‹), die hermeneutische (›Eigenes und Fremdes bedarf einer gemeinsamen Grundlage, auf der sie allererst aufgewiesen werden können‹), und die anthropologisch-normative (›die Einheit der Menschheit ist die Wurzel der vielen Kulturen‹)« (16), stellt Steffi Hobuß in der Einleitung zu diesem Sammelband fest. Um sich dem Anspruch des »Fremden« stellen zu können, also weder ethnozentristischen Pausibilitäten aufzusitzen noch in die »Alienisierungsfalle« (30) zu tappen, ist es hilfreich, die eigene »Blickrichtung« auf den jeweils Anderen umkehren zu lassen bzw. die je eigene Perspektive kritisieren und erweitern zu lassen – ein Vorgang der Kritik und Transformation, der unter dem Titel »Konversionen« den roten Faden der Beiträge dieses Bandes bildet.

Im ersten Abschnitt des Buches kommen konkrete »ethnographische und literarische Inversionen« zur Sprache: Hans-Ulrich Sanner zeigt anhand einer Auseinandersetzung mit den Ritual-Clowns der Hopi-Indianer in Arizona, auf welch komisch-freche Weise es möglich ist, Fremden ihr Auftreten und Erscheinungsbild zu spiegeln – als markante Form eines »ethnischen Humors«, dessen Porträts »kollektive Bedürfnisse nach Abgrenzung, psycho-sozialer Entlastung und Sinngebung erfüllen« (47). Russell West geht auf den literarischen Topos der »White Aboriginals« ein, also auf Geschichten weißer Einwanderer, die durch verschiedene Umstände bei den Ureinwohnern Australiens landeten und dort eine längere Zeit ihres Lebens verbrachten. Was auf den ersten Blick als gelungenes Beispiel interkultureller Beziehungen erscheint, erweist sich allerdings als Verstärkung kolonialer Abhängigkeitsverhältnisse.

Dass eine überzogene Verfremdung des Vertrauten nicht zu einem echten interkulturellen Verstehen führt, zeigt Madelena Gonzalez durch eine Untersuchung einer Kurzgeschichtensammlung von Salman Rushdie auf. Wie leicht europäische Wissenschaftler ihre kulturell bedingten Prämissen in andere Lebenskontexte projizieren, thematisiert Iris Därmann in ihrer Darstellung des »Muu-Igala« auf, einem Heilungsgesang der Cuña-Indianer, der bei Geburtsschwierigkeiten angewendet wird. Maria-Sibylla Lotter steuert eine interkulturelle Reflexion des Personbegriffs bei. Eine »Person« wird als »Trägerin von Verantwortung« (167) gesehen, was aber nicht heißt, dass es in allen Kulturen eine genaue Entsprechung zum europäischen Modell von »Person«, »Gewissen«, »Schuld« usw. geben muss.

Der zweite Abschnitt handelt von der »Krise und Konversion des Eurozentrismus«. Heinz Kimmerle geht kritisch auf manche Formen des Dialogverständnisses in der westlichen Gesellschaft ein, die er als »repressive Toleranz« (181) bezeichnet und vom Anspruch interkultureller Dialoge, »dass der/die Andere/n mir etwas zu sagen hat/haben, das ich mir auf keine Weise auch selbst hätte sagen können« (189), klar unterscheidet. Ulrich Lölke weist auf die faktisch höchst wirksame, aber oftmals verdrängte Rezeption des Fremden im abendländischen Denken hin, welche die Philosophie insgesamt als »interkulturelles Geschehen« (192) erweist – eine Einsicht, die zum größten Teil verloren gegangen ist: »Übersetzungen zwischen Kulturen in der Philosophie finden kaum Erwähnung« (195).

Helmut Heit arbeitet in seinem Beitrag die Motive heraus, die hinter der Betonung der Topoi »Griechen« und »Barbaren« stehen: »In diesem Selbstvergewisserungsdiskurs figurierten die Griechen sowohl wie auch die Barbaren als soziokulturelle Konstruktionen, die heute einen Beitrag zur Bestimmung eines westlich-abendländischen Selbstverständnisses leisten sollen« (230). Leo Treutzer schließlich verdeutlicht mit dem markanten Titel »Depp im globalen Dorf?« die Differenz von »lokalem Wissen« und »universaler« neuzeitlicher Wissenschaft, deren Entwicklungsprozess von einer »systematischen Dekontextualisierung von Wissen« (233) geprägt ist.

Die Bandbreite und durchaus disparate Zugangsweise, in der sich die Beiträge dieses Bandes dem Brennpunkt interkultureller »Konversionen« annähern, lässt als gemeinsames Anliegen die »Erschütterung« (Steffi Hobuß, 11) vermeintlicher »Selbstverständlichkeiten« und »Selbständigkeiten« erkennen, die eine unvermeidliche Folge einer »Umkehrung der Beobachtungsrichtung« (16) philosophischer und ethnologischer Logiken und Praktiken darstellt. Solche »Konversionen« sind ungewohnt und schmerzlich, aber unverzichtbar interkulturelles Philosophieren.

Franz Gmainer-Pranzl

polylog. Forum für interkulturelle Philosophie 6 (2005).
Online: http://lit.polylog.org/6/sgfdh-de.htm
ISSN 1616-2943
Autor: Franz Gmainer-Pranzl, Salzburg (Österreich)
© 2005 Autor & polylog e.V.
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