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Tadashi Ogawa

Grund und Grenze des Bewußtseins

Interkulturelle Phänomenologie aus japanischer Sicht

Tadashi Ogawa:
Grund und Grenze des Bewußtseins. Interkulturelle Phänomenologie aus japanischer Sicht.
Würzburg:
Königshausen & Neumann,
2001.
214 Seiten
ISBN 3-8260-1972-5
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Verlag Königshausen & Neumann:
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»Wir bemerken nicht, wie uns der passiv vorgegebene kulturelle Kontext, in den unser Leben eingebettet ist, bindet … Weil wir unsere Bindungen an die Tiefendimension nicht durchschauen, ist sie es auch, die im Grunde die interkulturellen Reibungen oder Streitigkeiten hervorruft.«

Tadashi Ogawa
(139)

Der Sammelband vereint Aufsätze des japanischen Philosophen Tadashi Ogawa, die zwischen 1984 und 1998 entstanden sind. Charakteristisch für die hier vorgelegten Arbeiten des Verfassers ist die Orientierung an der abendländischen Philosophietradition, insbesondere an der phänomenologischen Bewegung von ihren Anfängen bei Husserl bis hin zur Neuen Phänomenologie von Hermann Schmitz. Diese Tradition konfrontiert Ogawa mit dem ostasiatischen Denken, um so Gemeinsamkeiten beider Denktraditionen aufzuzeigen. Der Band deckt ein breites Spektrum von Themen ab. Neben Aufsätzen zu einer Phänomenologie der Leiblichkeit finden sich Überlegungen zur Rolle Goethes im japanischen Bildungskanon oder eine religionsphilosophische Analyse des Shintoismus.

Der im Untertitel angekündigten interkulturellen Phänomenologie widmet der Verfasser sich im dritten Teil des Sammelbandes. So thematisiert Ogawa in der Abhandlung »Eurozentrismus, Eurozentrik und Ent-Europäisierung« unter Bezug auf Husserls Krisis der europäischen Wissenschaften (1936) die Frage, ob Philosophie aufgrund ihres griechischen Ursprungs notwendigerweise eurozentrisch sei, und wie ihr Verhältnis zum nicht-europäischen Denken beschaffen sei. Dabei unterscheidet er zwischen Eurozentrik und Eurozentrismus: Der erste Begriff bezeichnet den Umstand, »daß der geborene Europäer Kultur und Welt von einem für ihn charakteristischen Gesichtspunkt … her betrachtet und von diesem Punkt ausgehen muß, um sich die Welt und Kultur erscheinen zu lassen« (123), wohingegen der zweite die Haltung meint, bei der dieser Gesichtspunkt durch »Abblendung und Ausschließung« (125) verabsolutiert wird.

Die Philosophie ist nun, wie Ogawa am Beispiel Husserls und im Rückgriff auf seine Terminologie erläutert, ob ihrer »Urstiftung im frühen griechischen Denken« (129) von Eurozentrik geprägt, aber nicht notwendigerweise eurozentrisch. Schon in ihren Anfängen sei eine Bewegung der Ent-Europäisierung angelegt, die das »Gespräch der europäischen und der nicht-europäischen Philosophie« (128) ermögliche. Dies lasse sich beispielsweise daran ablesen, daß die Grundgedanken Heraklits, des »entscheidende[n] Wegbereiter[s] des europäischen Logozentrismus« (129), große Ähnlichkeit zu denen Lao-tses aufweisen.

Den Gedanken, »daß die Philosophie auf ein universales, alle Kulturen übergreifendes Telos gerichtet ist« (127) und »daß auf dem Wege zu diesem Telos die europäische und die nicht-europäische Philosophie gemeinsam beteiligt sind« (128) führt Ogawa in dem Aufsatz »Die freie Variation als Methode des Kulturvergleichs. Zur Auseinandersetzung mit dem Kulturrelativismus« weiter aus. Die phänomenologische Methode der freien Variation (auch hier folgt der Verfasser Überlegungen Husserls) erlaubte die Freilegung der »Tiefendimension« (139) einer Kultur, die sonst unreflektiert bleibe: »Wir bemerken nicht, wie uns der passiv vorgegebene kulturelle Kontext, in den unser Leben eingebettet ist, bindet … Weil wir unsere Bindungen an die Tiefendimension nicht durchschauen, ist sie es auch, die im Grunde die interkulturellen Reibungen oder Streitigkeiten hervorruft.« (ebd.)

Interkultureller Phänomenologie obliege nun die Aufgabe, die vorphilosophische Einstellung, in der man, ohne es zu wissen, im Bann der eigenen Kultur steht, qua Kulturvergleich in eine philosophische Einstellung zu überführen, in der man Distanz nimmt, von dem unhinterfragt Gegebenen und es überschreitet. Diese Aufgabe – so schließt Ogawa seinen Aufsatz programmatisch – lasse sich erfüllen durch eine »historisch-genetisch modifizierte, frei variierende Wesensanschauung« (144), die »konkrete Invarianzen« (ebd.) der verglichenen Kulturen aufdecken und so zu interkultureller Verständigung beitragen soll.

Patrick Baum

polylog. Forum für interkulturelle Philosophie 4 (2003).
Online: http://lit.polylog.org/4/sotbp-de.htm
ISSN 1616-2943
Autor: Patrick Baum, Much (Deutschland)
© 2003 Autor & polylog e.V.
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