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Eveline Goodman-Thau: Aufstand der Wasser. Jüdische Hermeneutik zwischen Tradition und Moderne. Berlin – Wien: Philo, 2002. 330 Seiten ISBN 3-8257-0267-7 ![]() PHILO Verlag: ![]() |
Das Buch versammelt Aufsätze der Wiener Rabbinerin und Philosophin Eveline Goodman-Thau aus den letzten acht Jahren. Nach einer allgemeinen und umfassenden Einführung in die jüdische Hermeneutik (15-70) werden verschiedene spezielle Themen abgehandelt. Es geht dabei um das Problem der Lesbarkeit religiöser Erfahrung in verschiedenen Kontexten religiöser Tradition. Ein Aufsatz ist in diesem Zusammenhang der Tradierbarkeit des »mythologischen Gedächtnisses« am Beispiel der Kabbala und des Neuen Denkens Rosenzweigs, aber auch der Theorien Yoseph Hayim Yerushalmis und Jacques Derridas gewidmet. Das Gedächtnis in der jüdischen Tradition ist identitätstiftend, insofern die Erzählenden durch das Erzählen zu Gliedern in der Kette der Generationen werden. Es folgen Aufsätze über Leo Schestow, Hermann Cohen, Edmond Jabès, Emmanuel Lévinas und Hans Jonas. Am Ende des Buches findet sich ein Brief Mirjams an ihren Bruder Moses, der die Leserinnen und Leser zu einer allegorischen Interpretation ganz nach der Weise herausfordert, wie im Judentum seit jeher Texte der Überlieferung im vielfachen Schriftsinn verstanden wurden. Was dann auf diese Weise aus diesem sehr persönlichen Brief hervorkommt, ist ein besonders einprägsames und schönes Lehrstück über die Rolle der Frau im Judentum. Als habilitierte Philosophin sowie ordinierte Rabbinerin sieht Goodman-Thau ihre Arbeiten in der Spannung zwischen Wissen und Glauben angesiedelt, die auch das heutige jüdische Denken auszeichnet und deren Synthese aus den Quellen des Judentums sie anstrebt. Sie steht dabei in der Tradition eines Judentums, die in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung ihren Anfang genommen hat. Aber trotz aller Liebe und Zugehörigkeit der Autorin zu dieser Tradition ist in diesem Buch der Kontinuitätsbruch nach Auschwitz zu spüren, auch wenn er nicht eigens zum Thema gemacht wird wie in der amerikanischen Post-Holocaust-Philosophy, sondern nur gelegentlich erwähnt wird, aber dennoch schweigend präsent ist. Glauben und Wissen werden in einer Weise gegenübergestellt, die eine Übereinkunft beider in Aussicht stellt, welche postmoderne Züge tragen würde. Die Vernunft tritt nicht mehr mit allumfassendem und richterlichem Anspruch auf wie in »hochmodernen« Zeiten, sondern aus der einstmaligen Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums von Hermann Cohen ist jetzt ein milderes Konzept geworden, nämlich Im Mittelpunkt der jüdischen Hermeneutik, die von Eveline Goodman-Thau favorisiert wird, steht nicht das Judentum talmudischer und rabbinischer Formen, in deren Zentrum Tora, Halacha und Mitzwot stehen. Identität wird in dieser Art des Judentums hergestellt vor allem durch die Liebe zum Gesetz und die Einhaltung des Gesetzes gemäß dem Vertrag, den Gott mit seinem Volk als Generationenvertrag am Sinai geschlossen hat. Diese Art der Identitätsstiftung wird im Denken von Eveline Goodman-Thau durch die erzählende Identitätsstiftung überlagert. Das heißt nicht, dass sich die Rabbinerin vom rabbinischen Judentum soweit entfernt hätte, dass sie es in ihrer Grundsubstanz verändert hätte. Wahrscheinlich ist es vielmehr eine Schwerpunktsetzung entsprechend der Zweiteilung der Überlieferung in einen halachischen, nämlich gesetzlichen, und einen agadischen, nämlich erzählenden Teil. Eveline Goodman-Thau hat das Schwergewicht auf den agadischen Teil gelegt. Auch Lévinas hat sich auf den agadischen Teil kapriziert, und zwar wohl wissend, was er auslässt. Welcher Schwerpunkt aber wann und warum am schwersten wiegt, das wissen wir nicht, weil wir nicht hinter Gottes Thron stehen. Daher ist die Lektüre dieses Buches als ein authentisches Stück jüdischen Denkens zu empfehlen. |
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