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Alfred Gläßer

Religionskritik, Glaubensbegründung und interreligiöser Dialog

Vom deutschen Idealismus zu Nietzsche und zur Postmoderne

Alfred Gläßer:
Religionskritik, Glaubensbegründung und interreligiöser Dialog.
Vom deutschen Idealismus zu Nietzsche und zur Postmoderne
.
Regensburg: Pustet, 2000.
(Eichstätter Studien.
Neue Folge 42)

447 Seiten
ISBN 3-7917-1697-2
book cover
Friedrich Pustet Verlag:
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Sein Entwurf eines Dialoges der Religionen könnte als exklusiver Inklusivismus angesehen werden, sucht er doch zu zeigen, dass das Christentum in Christus die Antwort auf die allen Religionen zugrundeliegenden Fragen anbietet.

Man wird sich fragen dürfen, ob die Interpretation anderer Kulturkreise mit dem Arsenal abendländisch-theologischer Begrifflichkeit einem Dialog im eigentlichen Sinne förderlich sein wird.

Das Buch des Eichstätter Fundamentaltheologen verfolgt, trotz der im Titel angesprochenen systematischen und historischen Bandbreite, ein genau definiertes Ziel, nämlich die Sondierung der »theoretischen und praktischen Programme für den Dialog des Christentums mit den Religionen«. Im Mittelpunkt steht das theologische Anliegen, vom »eigenen Wesen« des Christentums aus nach dem »Beitrag« zu fragen, den es »in die Begegnung mit den Religionen einbringen kann und entsprechend seinem Heilsauftrag einbringen soll« (267). Damit ist klar die Perspektive des Theologen eingenommen, der das Anliegen der Fundamentaltheologie unter den Herausforderungen (post)moderner philosophischer Standpunkte und verschiedener interreligiöser Settings der gegenwärtigen Theologie zu verantworten hat. Nietzsche stellt dabei die zentrale Gestalt dar – als der verantwortliche Denker für den in der Folge der Religionskritik des 19. Jahrhunderts vorgenommenen Paradigmenwechsel zwischen hierarchisch-letztbegründetem Philosophieren und postmodernem Perspektivismus.

Die eigenwillige Struktur des Buches bringt es mit sich, dass in dessen Hauptteil (Kapitel VI), »Friedrich Nietzsche, Moderne und Postmoderne« (53-392), sich viele Ausführungen finden, von denen auf den ersten Blick nicht ganz einsichtig ist, was sie mit der »Leitfigur« Nietzsche verbindet, etwa die Ausführungen zum »Gott der Religionen« (283-318) und zur Aufgabe der Fundamentaltheologie (319ff). Dem gehen fünf Abschnitte zur Religionskritik des 19. Jahrhunderts voran (D.F. Strauss, Feuerbach, Marx, Jean Paul und Heine, 11-52), die wenig Neues bieten.

Das Programm einer theologisch begründeten Evaluierung der Möglichkeit, Positionen der Gegenwartsphilosophie, die sich auf Nietzsches umfassende Kritik beziehen, für einen Dialog der Religionen fruchtbar zu machen, leidet am allzu exemplarischen Umgang mit der Nietzsche-Literatur. Der Autor setzt sich vornehmlich mit der innerhalb der Nietzscheforschung als seriös anerkannten theologischen Studie seines Eichstätter Kollegen Ulrich Willers auseinander (338-344 u.a.), der er auch viel Material entnimmt. Aus den maßgebenden philosophischen Interpretationen wird lediglich Werner Stegmaiers Buch über die Genealogie der Moral besprochen (344ff). Kann man die Genealogie auch als Grundlagenwerk für die sogenannte Postmoderne ansehen, reicht es sicher nicht aus, Stegmaiers Interpretation als ein Beispiel postmoderner Beliebigkeit vorzuführen.

Die Attacke auf die Nietzscheauslegungen aus dem Kreis um Josef Simon (vgl. auch Anm. 1153 zu Tilman Borsches Habilitationsschrift) hat besonders die Möglichkeit eines konsequent perspektivischen Philosophierens zum Ziel. Die von vielen Nietzsche-Exegeten geteilte Ansicht, dass Nietzsche den szientistischen Perspektivismus radikalisiere und die Abhängigkeit jeder perspektivischen Weltkonstruktion von einem (je verschiedenen) Standpunkt darlegt, wird in Gläßers Darstellung, mit dem (missverständlich als Aussage Stegmaiers bezeichneten) Satz erläutert, dass »jede Perspektive … nach Nietzsche Glaube, Offenbarung des absoluten Standpunktes des Suchenden« sei. Das Wort »absolut« markiert hier ein Missverständnis des relationalen Gefüges, als das Nietzsche die Welt auf jeder Ebene beschreibt. Auch der »absolute Standpunkt« des jeweiligen Subjektes löst sich in Nietzsches Immanentismus in ein Geflecht von Relationen auf, wie es ja Stegmaier in seinen Analysen geduldig herausarbeitet.

Gläßers Nietzschekritik, die die destruktiven Seiten von Nietzsches Denken betont, fußt leider auf völliger Unkenntnis der neueren Nietzsche-Literatur und der Diskussion um eine Hermeneutik von Nietzsches Werk. Selbst Hinweise auf zum Standard der Nietzscheforschung zählende Autoren wie Abel, Gerhardt, Müller-Lauter oder Ottmann fehlen, wichtige Beiträge von theologischer Seite, wie diejenigen von Figl, Köster, Salaquarda oder Schellong, sind nicht berücksichtigt. Es ist – wie ein Blick auf den Stand der Diskussion zeigt – zu einfach, Nietzsches Perspektivismus, der konsequent im Horizont seiner perspektivischen Voraussetzungen formuliert ist, den Widerspruch zur vorausgesetzten Möglichkeit vorzurechnen, angemessene Beschreibungen zu liefern. Das zeigt die neuere Diskussion deutlich, vor allem, was die erkenntnistheoretischen Grundlagen von Nietzsches Kritik betrifft.

Die Ablehnung radikaler Perspektivierungen ist allerdings vom theologischen Programm Gläßers her gefordert: Sein Entwurf eines Dialoges der Religionen könnte als exklusiver Inklusivismus angesehen werden, sucht er doch zu zeigen, dass das Christentum in Christus – den er als »Brahman und Atman, Tao und dessen Kraft in der Welt« bezeichnet (281; vgl. auch 266) – die Antwort auf die allen Religionen zugrundeliegenden Fragen anbietet. Von dieser theologischen Vorentscheidung aus interpretiert er auch das Verhältnis des Christentums zum Griechentum, Nietzsches Wertungen in dieser Hinsicht umkehrend (218-227).

Man wird sich fragen dürfen, ob die Interpretation anderer Kulturkreise mit dem Arsenal abendländisch-theologischer Begrifflichkeit einem Dialog im eigentlichen Sinne förderlich sein wird. Die Stärke von Gläßers Studie liegt eindeutig nicht darin, die verschiedenen »Religionen« von sich her ins Bild zu rücken. Sein für einen gelungenen Dialog wichtiger Beitrag besteht in der Konturierung einer, nämlich der römisch-katholischen, Gestalt des Christentums als einem Partner im interreligiösen Gespräch.

Hans Gerald Hödl

polylog. Forum für interkulturelle Philosophie 4 (2003).
Online: http://lit.polylog.org/4/-de.htm
ISSN 1616-2943
Autor: Hans Gerald Hödl, Wien (Österreich)
© 2003 Autor & polylog e.V.
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