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Wolfgang Bauer

Geschichte der chinesischen Philosophie

Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus

Wolfgang Bauer:
Geschichte der chinesischen Philosophie. Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus.
Hg. v. Hans van Ess.
München: Beck, 2001.
339 Seiten
ISBN 3-406-47157-9
book cover
C.H. Beck Verlag:
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Wolfgang Bauer war und ist der seltene Fall eines deutschen Gelehrten von höchstem Rang, der es versteht, wissenschaftliche Probleme klar darzustellen, weil er den Leser in die Klärung dieser Probleme einbezieht.

Es ist nicht leicht, einen Zugang zur chinesischen Philosophie zu finden. Das hat viele Ursachen. Die offensichtlichste und größte Barriere besteht in der Schwierigkeit, sich die Fähigkeit anzueignen, die entsprechenden Texte lesen zu können. Es stellt sich dann, allerdings erst nach längerer Beschäftigung mit der Materie, heraus, dass es sich hierbei nicht nur um ein Problem der Sprachkenntnisse handelt, sondern um die spezifische Art und Weise, wie in der chinesischen Kultur Texte gelesen und verwendet werden. Dies ist selbst schon ein Problem der philosophischen Methode, das mit dem Methodenbewusstsein der europäischen Tradition kaum bewältigt werden kann.

Leider gibt es kaum Bücher, die mit dieser Schwierigkeit umgehen können und dem Leser bei diesem spezifischen Übersetzungsproblem zur Hand gehen. Eine rühmliche Ausnahme bilden die Werke des leider viel zu früh verstorbenen – das sei hier ganz ohne Phrase gesagt – Münchner Sinologen Wolfgang Bauer, der schon mit seinem Buch China und die Hoffnung auf Glück dem westlichen Leser, auch dem ohne Vorbildung, ein Tor in die Lebendigkeit der chinesischen Reflexionswelt geöffnet hat.

Dies gelingt ihm mit der von Hans van Ess postum herausgegebenen Darstellung der Geschichte der chinesischen Philosophie neuerlich auf eindrucksvolle Weise. Er spannt den Bogen von den Anfängen der chinesischen Philosophie bei Konfuzius bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum kann man von einer autonomen Entwicklung des chinesischen Denkens sprechen, das heißt, von einem Denken, das sich ohne wesentliche europäische Einflüsse gestaltet. Damit kann auch die spezifische Motivik der chinesischen Tradition beleuchtet werden.

Die chinesische Kultur im allgemeinen und die chinesische Philosophie im besonderen ist ja in den Ruf geraten, seit Jahrtausenden erstarrt zu sein. Diese Einschätzung beruht darauf, dass sich spätestens nach der klassischen Zeit die Entwicklung des Denkens weitgehend als Interpretation klassischer Texte versteht. In dieser Interpretation, die häufig mehr eine Manipulation ist, kommt es aber immer wieder zu überraschenden und originellen Wendungen.

Wolfgang Bauer war und ist der seltene Fall eines deutschen Gelehrten von höchstem Rang, der es versteht, wissenschaftliche Probleme klar darzustellen, weil er den Leser in die Klärung dieser Probleme einbezieht. Besonders eindrucksvoll gelingt ihm dies in den Kapiteln über den chinesischen Buddhismus, in denen eine äußerst komplizierte und verwirrende Traditionslage mit klaren Strichen gezeichnet wird. Spannend ist auch die Schilderung der chinesischen Dekonstruktion der Klassiker im 18. Jahrhundert.

Bauer vermeidet es klugerweise, vorweg einen Philosophiebegriff zu definieren, von dem aus das Philosophische der chinesischen Denktradition bestimmt werden könnte. Dies führt häufig zu einer »Europäisierung« auch der chinesischen Philosophie. Es sei nicht verschwiegen, dass auch Bauer dieser Europäisierung nicht ganz entgeht.

So etwa, wenn er den Substanzbegriff in der chinesischen Philosophie vermisst. Solchen Problemen könnte man sich mit methodischen Gegenfragen nähern. Es könnte ja sein, dass es ein großer Vorteil ist, dem Substanzbegriff nicht aufgesessen zu sein. Noch gravierender ist die Einstufung der chinesischen Philosophie als Ethik. Diese Einschätzung hat etwas für sich, wenn Ethik nicht als philosophische Disziplin gesehen wird, in der andere Disziplinen vernachlässigt werden. Dies geschieht nach Bauer mit erkenntnistheoretischen Fragestellungen. Nach meiner Auffassung besteht ein interessanter Aspekt der chinesischen Philosophie aber gerade darin, dass erkenntnistheoretische und ethische Fragestellungen von vornherein nicht unterschieden, sondern zusammen gesehen werden. Die Argumentation der Väter des Konfuzianismus, Konfuzius und Menzius, wird als widersprüchlich und traditionsverhaftet beurteilt. Wenn Bauer aber Konfuzius mit Recht als Anfang einer Tradition von Rationalität sieht, so muss doch gefragt werden können, worin seine rationale Methode besteht.

Solche Schwächen können aber einem Sinologen in einer Zeit schwerlich angelastet werden, in der sich Philosophie und besonders Philosophiegeschichte als Meinungsbazar darstellen, der von zahllosen Geschmacksurteilen beherrscht wird. Auch hier bewährt sich aber die Bauersche Klarheit, weil solche Probleme für eine weitere Diskussion klar herausgestellt werden.

Wünschenswert wäre eine zusammenfassende Anführung der zitierten Texte im Literaturverzeichnis und eine Anführung von deren Übersetzungen, soweit vorhanden, in europäische Sprachen. Ebenso wünschenswert wäre die Publikation etwaig vorhandener Texte Bauers zur chinesischen Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts.

Werner Gabriel

polylog. Forum für interkulturelle Philosophie 4 (2003).
Online: http://lit.polylog.org/4/sbwgw-de.htm
ISSN 1616-2943
Autor: Werner Gabriel, Wien (Österreich)
© 2003 Autor & polylog e.V.
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