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Martin Bernal:
Black Athena Writes Back:
Martin Bernal Responds to His Critics.
Edited by David Chioni Moore.
Durham:
Duke University Press,
2001.
576 Seiten
ISBN 0-8223-2717-1

Duke University Press:
Website
»die Einteilung der Bürgerschaft in Klassen aber kommt aus Ägypten … Man muss allerdings annehmen, dass auch sonst die meisten Dinge in der langen Zeit mehrfach entdeckt worden sind, oder vielmehr unendlich oft. Denn auf die notwendigen Dinge brachte die Menschen offenbar das Bedürfnis selbst … Dass dies alles sehr alt ist, zeigt eben Ägypten. Denn diese scheinen das älteste Volk zu sein, und doch haben sie seit jeher Gesetze und eine politische Ordnung. So muss man sich denn klug an das schon Entdeckte halten, und was noch fehlt, festzustellen suchen.«
Aristoteles
(Politik VII, 10)
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Als 1987 und 1991 die beiden Bände Black Athena des Ägyptologen Martin Bernal zuerst erschienen (in Deutsch 1992: Schwarze Athene. Die afroasiatischen Wurzeln der griechischen Antike) wurden sie ebenso begeistert aufgenommen wie vehement kritisiert. Konferenzen, Monographien, ein Sammelband (Black Athena Revisited, 1996) zu Bernals Thesen in den 90er Jahren belegen dies. Im vorliegenden Band antwortet der Autor auf Kritiken, führt neue Forschungsergebnisse vor und legt seine Thesen noch einmal dar. Er geht auf ägyptologische, gräzistische, linguistische Fragen ebenso ein wie auf Probleme der Geschichtsschreibung, der Wissenschafts- und Politikgeschichte. Worum ging es?
Es geht Bernal um die Ursprünge des antiken Griechenland. Was ist dieses Griechenland, bei dessen »Namen … es dem gebildeten Menschen in Europa, insbesondere uns Deutschen, heimatlich zumute« ist, wie Hegel sagt? Wer vor 1970 geboren ist, meint Bernal, wird in aller Regel annehmen, dass Griechenland durch Einwanderung von indoeuropäisch sprechenden Weißen gebildet wurde, wobei aber auch die ansässige Bevölkerung definitiv nicht »semitisch« oder »afrikanisch«, sondern weiß war. Griechenland ist die erste europäische Hochkultur, in Griechenland und erst hier sind Wissenschaft, Philosophie, Demokratie entstanden. Wer so denkt, verhält sich nach dem »arischen« Modell, sagt Bernal. Es gebe ein anderes, das »antike« Modell, und dieses sei sehr lange auch im europäischen Griechenlandverständnis leitend gewesen. Die meisten griechischen Autoren hätten es vertreten. Danach sei Griechenland, früher von primitiven Stämmen bewohnt, von Phönikern und Ägyptern zivilisiert worden, die dort Städte bauten und ihre Religion mitbrachten, das Alphabet, Techniken, und es durch all das nachhaltig prägten. »This Ancient model was not doubted until the end of the eighteenth century, and it was not seriously challenged until the 1820s.« Erst die Vorherrschaft »of the linked concepts of progress, romanticism, and racism« habe dem Modell im 19. Jahrhundert den Garaus gemacht. Man darf sich hier durchaus daran erinnern, dass Buckle, ein Zeitgenosse Darwins, in seiner bahnbrechenden Geschichte der Zivilisation in England das alte Ägypten nur noch als Unterdrückungsapparat beschreibt; dass in einem 1914 erschienenen Werk über Die deutsche Vorgeschichte eine hervorragend nationale Wissenschaft den Phönikern neben allen anderen höheren Kulturleistungen auch das Alphabet abgesprochen worden ist.
Bernal bemüht sich, solche »externen« Faktoren in der Interpretation der Antike bewusst zu machen und verweist auf die jüngere Geschichte: »The events of the 1940s and 1950s led toward the readmission of Jews as Europeans« und einer Revision des Bildes von »semitischen« Kulturen überhaupt.
Aber was hat dabei eigentlich die Forschung beizutragen? Die Erkenntnisse der Linguistik im 19., der Archäologie im 20. Jahrhundert sollten zu einer Synthese der beiden Modelle beitragen. »Nevertheless, I believe that the new scheme of Revised Ancient model is closer to the Ancient than to the Aryan model.« Das aber bedeutet, dass »Griechenland« nicht wie Athene im Mythos aus dem Haupt des Zeus, fertig und ohne fremden Einfluss entsprungen, dass seine Größe »not the result of isolation and cultural purity« war, »but of frequent contact and stimulus from the many surrounding peoples« .
Wie eingangs erwähnt, spricht Bernal viele Bereiche in extenso an, um seine Sichtweise zu untermauern. Die Philosophie im engeren Sinn steht nicht im Zentrum, weshalb seine Ausführungen über die Frage nach den Ursprüngen von »Wissenschaft« und »Philosophie« in Ägypten von besonderem Interesse sind. Weder in mathematischen, noch in medizinischen, astronomischen oder kosmologischen Fragen sieht Bernal es für angemessen an, von einer ägyptischen »Weisheit« im Vergleich zu einer griechischen »Wissenschaft« zu sprechen, und er bringt einleuchtende Belege dafür. Ähnliches gilt für einzelne philosophische Theorien, wofür insbesondere die Atomlehre ein interessantes Fallbeispiel darstellt. Doch wird man in dieser Frage, nach einer Philosophie der Ägypter, sich eher an die auch von ihm genannten Untersuchungen von Assmann, Bilolo, Karenga oder Löwstedt wenden.
Bernals Athene ist nicht wirklich schwarz, er ist kein Afrozentriker. Sie ist aber gewiss auch nicht einfach weiß. Sie hat sich ihre eigenen Gedanken gemacht und von Anderen gelernt; und sie hat das auch gar nicht verschwiegen oder geleugnet. Nicht einmal als Erfinderin der Demokratie (Bernal: »Free citizens participated widely in the running of Phoenician cities. Ancient Mesopotamia and Syria hat long traditions of mixed democratic and aristocratic rule.« ) und Ordnerin der Gesellschaft sollte sie auf das Erbe der Anderen verzichten, wie einer ihrer Söhne sagte: »die Einteilung der Bürgerschaft in Klassen aber kommt aus Ägypten … Man muss allerdings annehmen, dass auch sonst die meisten Dinge in der langen Zeit mehrfach entdeckt worden sind, oder vielmehr unendlich oft. Denn auf die notwendigen Dinge brachte die Menschen offenbar das Bedürfnis selbst … Dass dies alles sehr alt ist, zeigt eben Ägypten. Denn diese scheinen das älteste Volk zu sein, und doch haben sie seit jeher Gesetze und eine politische Ordnung. So muss man sich denn klug an das schon Entdeckte halten, und was noch fehlt, festzustellen suchen.« (Aristoteles, Politik VII, 10). Athene stammt aus einer Großfamilie und sie schämt sich dafür nicht.
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