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Interkulturalität als das genuin Menschliche |
Rainer E. Zimmermann: Kritik der interkulturellen Vernunft. Paderborn: mentis, 2002. 356 Seiten ISBN 3-89785-291-8 ![]() mentis Verlag: ![]() |
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Die jüngere Entwicklung interkultureller Philosophie ist vom Bemühen gekennzeichnet, im Spannungsfeld von Relativismus und Universalismus einen verantwortbaren Weg zu finden. Mit Blick auf diese Herauforderung versucht Rainer Zimmermann, eine Reflexion auf die Grundlagen der Anthropologie zu leisten, die den Ansprüchen sozialer Vermittlung im Allgemeinen sowie interkultureller Vielfalt im Besonderen gerecht wird. »Interkulturalität«, so betont er in der Vorrede des Buches, bezieht sich auf das, »was als unveräußerbar zwischen den Kulturen als das genuin Menschliche in Erscheinung tritt«(14). Das Phänomen »Kultur« versteht sich in diesem Zusammenhang als »Klassifikationsmerkmal von sozialen Kontexten«(18); in entsprechender Weise hängt »kulturell spezifische Erkenntnis«von »Sozialisierungserfahrung«ab, was umgekehrt bedeutet, dass keine einzelne Kultur dazu imstande ist, »eine letztbegründende Menge von Grundsätzen zu erfassen«(20). |
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Das »universale« Moment in diesem Feld kulturell-sozialer Überschneidungen verortet Zimmermann in der Definition des Menschen, den er als »Bündel von konstitutiven Systemeigenschaften des sozialen Systems«(38) auffasst. Insofern durch diese Systemeigenschaften einen »Spielraum der Dispositionen«(ebd.) aufgespannt wird, ist ein Rahmen zur Entfaltung kultureller Vielfalt (mit verbindlichen ethischen Implikationen) gegeben. Unter »interkultureller Kommunikation« ist demnach die Erschließung einzelner Bereiche dieses »Spielraums der Dispositionen« zu verstehen, »die aus einer je einzelnen Perspektive heraus verborgen bleiben müssen«(ebd.). |
Soziale Vermittlung als anthropologische Universalie |
»Es ist keineswegs möglich, in eine andere Kultur hineinzuschlüpfen und dabei seine ursprüngliche abzustreifen, wie die Schlange eine alte Haut. Kulturen sind wie Personen: nämlich irreduzible Strukturen.« Rainer E. Zimmermann (269) |
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Entscheidende Grundsätze des Reflexionsganges dieser »Kritik der interkulturellen Vernunft« sind eine ausgesprochen empirische Grundlegung philosophischer Vernunft, das Verständnis von Ethik als »Wissen« sowie – als These des Buches – der Versuch, den Prozess sozialer Vermittlung als »anthropologische Universalie« zu begreifen. Kulturelle Strukturen sind nach Zimmermann dadurch gekennzeichnet, dass sich in ihnen Wechselwirkungen zwischen Personen in einem sozialen Kontext abspielen; diese kommunikativen Interaktionen werden als »Abbildungen«bezeichnet und als »Übersetzungen von Interpretationen«(103) repräsentiert. |
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Insofern solche Abbildungen strukturerhaltend sind, heißen sie »Morphismen«; insofern sie im Zuge der Kommunikation den sozialen Kontext in eine neue Struktur überführen, heißen sie »Transformationen«(103f). Die Folgerung daraus lautet: »Kulturelle Strukturen (als soziale Teilgruppen von Populationen) erweisen sich deshalb als Kategorien, die aus charakteristischen Objekten bestehen und Morphismen zwischen ihnen«(104). Die These, die der Autor hinsichtlich der Möglichkeit interkultureller Verständigung formuliert, besteht darin, »dass es für alle möglichen kulturellen Strukturen einen gemeinsamen (Kategorien-)Durchschnitt gibt mit einer minimalen Zahl gemeinsamer Morphismen, welche unter allen Funktoren invariant verbleiben und somit als Universalien aufgefasst werden können«(110). |
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Um genau diesen »universalen logischen Kern«(108) kreisen die Überlegungen Rainer Zimmermanns, genauerhin um die Auseinandersetzung mit dem »Umstand, dass alle Menschen sich in einem sozialen Gefüge bewegen, das auf der sozialen Vermittlung der individuellen Person mit dem gesellschaftlichen Kollektiv beruht«(117). Die Wirklichkeit sozialen Lebens erweist sich dabei als »permanenter Übersetzungsprozess einer morphischen Sprache in die andere«(196f), woraus auch deutlich wird, unter welcher Perspektive interkulturelle Verständigung gesehen werden kann: »Kommunikation (und mithin soziale Vermittlung) erscheint als eine Universalie, die radikal verschiedene Systeme letztlich ›überschreibt‹«(123). |
Empirische Grundlegung des Denkens |
Sartre-Gesellschaft:![]() Ernst Bloch Assoziation: ![]() |
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Die Ausführungen des vorliegenden Buches, die sich vor allem auf die Differenzethik Jean-Paul Sartres und die Kategorienlehre Ernst Blochs stützen, tragen dazu bei, die »strukturelle Verfasstheit der Kulturen«(308) im Zusammenhang ihrer kommunikativ-sozialen Wechselwirkungen deutlicher wahrzunehmen und so auch ein vorschnelles »Verstehen« fremder Kulturen zu verhindern. In dieser originellen Art und Weise, die strukturelle Konstellation einer Kultur als »vernetztes Geflecht von Differenzierungen«(127) zu begreifen und vom Standpunkt eines »Habitus« her durchzubuchstabieren, der vor allem »das Spiel-Feld der sozialen Praxis«(228) in den Blick nimmt, liegt der bedenkenswerte Anstoß sowie der systematische Ertrag der Studie von Rainer Zimmermann. |
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»In dieser originellen Art und Weise, die strukturelle Konstellation einer Kultur als ›vernetztes Geflecht von Differenzierungen‹ zu begreifen und vom Standpunkt eines ›Habitus‹ her durchzubuchstabieren, der vor allem das ›Spiel-Feld der sozialen Praxis‹ in den Blick nimmt, liegt der bedenkenswerte Anstoß sowie der systematische Ertrag der Studie von Rainer Zimmermann.« | 7 |
Allerdings bleibt eine zweifache Schwierigkeit bestehen: die Entwicklung des Gedankengangs erfolgt grundsätzlich in einer immanenten Sprache, die unmittelbar auf Theoreme und Metaphern Sartres und Blochs zugreift, aber wenig bis keine Vermittlung mit den großen Argumentationslinien leistet, die sich im Problembereich der interkulturellen Philosophie im deutschen Sprachraum herausgebildet haben. Dazu kommt der stark assoziative Sprachgebrauch, der an mehreren Stellen des Buches die Grenze zwischen Argumentation und Metaphorik verschwimmen lässt; wenn z.B. davon die Rede ist, »der fortschreitenden Initiative der Wahrheit zu folgen«(207) oder »Metaphysik auf die Gestaltung einer Praxis ausstrahlen«(323) zu lassen, ist ein sprachkritischer und sachorientierter Diskurs nur schwer möglich. |
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Von inhaltlicher Seite her wäre die Frage zu stellen, ob eine empirische Grundlegung des Denkens – die bei einer Kritik des Begriffs a priori bei Kant beginnt (vgl. 19-22), an zentralen Stellen der Argumentation eine »sensorische« Erkenntnistheorie (150) voraussetzt, der Physik eine »fundamentale Position«(167) einräumt und von daher eine »Physik der Logik«(315) postuliert – tatsächlich in der Lage ist, dem Anspruch einer interkulturellen Haltung menschlicher Vernunft gerecht zu werden. |
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Zimmermann selbst ist seinen Prämissen treu geblieben; die Fähigkeit zur Reflexion ist für ihn nicht durch Kreativität gekennzeichnet, sondern durch ihr passives Verhältnis zur materiellen Natur, auf die sie sich bezieht »wie das Organ zum Körper«(320). Allerdings lebt interkulturelles Philosophieren von einem Impuls, der die »Universalität der sozialen Vermittlung«– die der Autor zu Recht als anthropologische Grundkategorie ansieht – nicht in der Faktizität und »Natürlichkeit« der Wirklichkeit aufgehen lässt. |
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