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Günther Mahr
Die Philosophie als Magd der Emanzipation.
Eine Einführung in das Denken von Arturo Andrés Roig

Aachen 2000



español  





Aachen: Mainz,
2000.
338 Seiten
ISBN 3-86073-698-1
(Concordia Reihe Monographien 32)



Verlag Mainz:
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»Trotz aller Desillusionierung bleibt Philosophie also nach Roig 'Magd der Emanzipation', oder – in kritischer Anspielung auf Enrique Dussel – eine Philosophie für die Befreiung, nicht der Befreiung.«

  Arturo Andrés Roig, geboren 1922, zählt zu den großen, aber stillen Denkern der lateinamerikanischen Gegenwartsphilosophie. Er war zunächst Professor für Antike Philosophie im argentinischen Mendoza, muss aber wie andere Befreiungsdenker auch nach den kurzen Jahren eines fulminanten philosophischen Aufbruchs infolge politischer Repression Mitte der 70er Jahre Argentinien verlassen.
  Nachdem Roig bereits in Mendoza wichtige Arbeiten zur Geschichte des argentinischen Denken publiziert hatte, widmet er sich auch im Exil in Quito sofort umfangreichen Studien zur Geschichte der ekuadorianischen Philosophie. Roig profilierte sich damit nicht nur als kompetenter Autor der Historia de las ideas, jener philosophischen Bewegung, die sich nach dem 2. Weltkrieg das Ziel gesetzt hatte, zum ersten Mal systematisch und länderübergreifend das lateinamerikanische Denken zu erforschen, Roig legte mit diesen Arbeiten zugleich einen bis heute gültigen Grundstein für die kulturelle und geschichtliche Verankerung des ekuadorianischen Denkens. An diesem Beispiel wird auch die kaum zu unterschätzende Bedeutung der Historia de las ideas für die Selbstkonstitution – und Selbstachtung – lateinamerikanischer Philosophie sichtbar. In Quito entsteht darüber hinaus auch eines der systematischen Hauptwerke Roigs, nämlich Teoría y crítica del pensamiento latinoamericano (Mexiko 1981). Nach dem Ende der Militärdiktatur in Argentinien kehrt Roig schließlich 1982 nach Mendoza zurück, womit die bisher letzte, an Publikationen äußerst reiche Periode seines Denkens beginnt.
  Günther Mahr führt in das breit gefächerte Denken Arturo Roigs in neun Abschnitten ein. Ein Schwerpunkt bildet das Problem der Konstitution einer lateinamerikanischen Philosophie sowie das damit verbundene Projekt einer Historia de las ideas (Kap. 2,3,4,7); dazu kommen systematische Themen wie der Begriff des Subjekts, das Verhältnis von Diskurs und Geschichte und Roigs Konzept einer »Moral der Emergenz« (Kap. 5,6,8). Die Kapitel 9-10 behandeln aktuelle Diskussionen, konkret Roigs Kritik an der Postmoderne und das Problem der Interkulturalität. Im Anhang finden sich zudem Übersetzungen einiger Schlüsseltexte von Roig sowie ein Interview aus dem Jahre 1993, in dem Roig selbst seine philosophische Entwicklung kommentiert.
  Aus der Fülle der Themen möchte ich zwei Aspekte kurz herausgreifen. Vom Problem des "Anfangs der amerikanischen Philosophie" (Kap. 2) und damit des Selbstverständnisses und der Selbstkonstitution eines lateinamerikanischen Denkens, in das nun auch die zahllosen Widerstandsbewegungen der indigenen Völker Lateinamerikas gleichberechtigt einfließen, schlägt Roig eine Brücke zum Problem der Interkulturalität, das – so Mahr im 10. Kapitel – Roig primär als »philosophische und politische Aufgabe« versteht. Denn Kultur ist immer Vergegenständlichung empirischer Subjekte, keine bloß geistige Welt ästhetischer Kreationen. Vergegenständlichung wiederum muss – inmitten der Omnipräsenz repressiver Strukturen – stets als ein Kampf um die je eigene Vergegenständlichung, das heißt als ein Kampf um die eigene Würde, begriffen werden. Das Ziel interkultureller Philosophie muss daher die Aufhebung der unterdrückenden Verhältnisse sowohl innerhalb der Kulturen als auch zwischen ihnen (232) sein, interkulturelle Philosophie ist daher in Roigs eigenen Worten eines der »Gesichter einer befreienden Philosophie« (ebd.).
  Roig ist sich bewusst, dass die Option für ein befreiendes Denken im postmodernen Klima der Gegenwart auf tiefe Skepsis stößt. Doch im Rückblick auf die Revolutionen der 60er und 70er Jahre betont er, dass zwar viele Illusionen zerbrochen sind, dass jedoch »glühende Asche noch da ist« und »wir Lateinamerikaner nicht gewillt sind, die Geschichte abzuschließen« (318). Trotz aller Desillusionierung bleibt Philosophie also nach Roig »Magd der Emanzipation«, oder – in kritischer Anspielung auf Enrique Dussel – eine Philosophie für die Befreiung, nicht der Befreiung.

Hans Schelkshorn, Wien



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