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Hans Gerald Hödl

Der "Medizinmann" als Kollege

Zu Barry Hallen & J. Olubi Sodipo: Knowledge, Belief, and Witchcraft: Analytic Experiments in African Philosophy




Barry Hallen / J. Olubi Sodipo:
Knowledge, Belief, and Witchcraft: Analytic Experiments in African Philosophy.
Stanford: Stanford University Press, 1997.
163 Seiten
ISBN 0-8047-2823-2




Stanford University Press:
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1

  Daß die Übersetzung ein Hauptproblem für das Verstehen fremder Kulturen bietet, ist eine altbekannte Tatsache. Hallen und Sodipo kommt das Verdienst zu, diese Erkenntnis sowohl – im Rückgriff auf Quines indeterminacy-thesis (11 f; 15-39; 81 ff. u.a.) – theoretisch reflektiert als auch in die praktische Arbeit an der Darstellung zentraler Begriffe einer bestimmten Kultur, nämlich der der Yoruba, übersetzt zu haben. Die Neuauflage eines Klassikers der Diskussion um afrikanische Philosophie bringt ein kurzes Vorwort von W.V.O. Quine und eine etwas ausführlichere Schlußbetrachtung von Hallen (127-141), in der er die Ergebnisse der Untersuchung nochmals in Hinblick auf die von ihr ausgelöste Diskussion zusammenfaßt, sowie ein ergänztes Literaturverzeichnis, das auch die Veröffentlichungen ausweist, in denen auf das vorliegende Buch Bezug genommen wird.

2

  Die These von der prinzipiellen Ungenauigkeit der Übersetzungen meint nun selbstverständlich nicht, daß Aussagen über einfache Sachverhalte, wie die Feststellung "es regnet" nicht unmißverständlich semantisch transferiert werden könnten. Doch je mehr die Ausdrücke einer Sprache dem Second-order-Bereich angehören, also die abstrakten und differenzierten Bereiche des begrifflichen Netzes angesprochen werden, desto größere Schwierigkeiten stellen sich für eine angemessene Übersetzung. Dabei muß man auch darauf achten, daß es, wie die Autoren betonen, nicht das gleiche ist, kompetenter Sprecher zweier Sprachen zu sein und diese erfolgreich ineinander zu übersetzen (25).

3

  Wichtig ist es zu sehen, daß Hallen/Sodipo sich als Philosophen verstehen und Philosophie als eine second-order discipline (s.a. 12; 16). Im Gegensatz zum Ethnographen, der methodisch, zum Zwecke der genauen Beschreibung, Second-order-Informationen auszuschließen trachtet, geht es in einer philosophisch motivierten Untersuchung nicht um Feldarbeit mit Informanten, sondern um ein Gespräch mit Kollegen (8; 10; 124). Hallen und Sodipo finden diese Kollegen in den onísègùn, den als "Hexendoktoren" bezeichneten eingeweihten Männern der traditionellen Medizin der Yoruba, womit sie den Second-order-Charakter der Philosophie mit dem für die Untersuchung einer oralen Kultur erforderlichen Empirismus verbinden: »Learning from oral cultures requires meeting with members of the cultures, for oral information comes out of mouths.« (121)

4

  Ihre Gespräche mit diesen führen zunächst zu dem Ergebnis, daß die Yoruba-Ausdrücke und gbàgbó, die üblicherweise mit "wissen" und "glauben" übersetzt werden, im Yoruba ein signifikant anderes semantisches Feld besetzen als ihre englischen "Entsprechungen" know und believe (40-85). Somit kommen sie u.a. zu dem Schluß, daß Aussagehaltungen (propositional attitudes) nicht universal sind, und zu dem sehr viel interessanteren, daß fremde Sprachen alternative epistemologische, metaphysische und moralische (usw.) Systeme implizieren.



»Learning from oral cultures requires meeting with members of the cultures, for oral information comes out of mouths.«

Barry Hallen /
J. Olubi Sodipo

(121)

5

  Darauf läuft auch ihre aufmerksame Analyse der Bedeutungsbreite und -dichte von "Hexerei" (witchcraft / àjé; vgl. 86-118) hinaus. Neben kurzen Diskussionen von Evans-Pritchards einschlägiger Untersuchung bei den Azande (vgl. 26 ff; 92 f), gehen sie insbesondere auf drei – was die Interpretation des "ontologischen Status'" des Phänomens betrifft, voneinander unterschiedenen (91) – Theorien über das europäische Hexenwesen ein (Parrinder, Summers, Thomas). Dabei gehen sie folgender kulturvergleichender Frage nach: Da die europäischen Historiker nur indirekten Zugang (über Prozeßakten, erzwungene Geständnisse usw.) zum Phänomen der europäischen Hexerei haben, scheint es sich anzubieten, zum Vergleich die zeitgenössischen Phänomene in Afrika heranzuziehen, wie es Parrinder auch tut. Hallen und Sodipo zeigen nun, daß damit vorausgesetzt wird, daß es sich um zwei Manifestationen desselben Phänomens handle (98). Die Gespräche mit den onísègùn haben aber zu dem Ergebnis geführt, daß die Beschreibung von ájè nicht mit dem von Parrinder zu Grunde gelegten Modell von "afrikanischer Hexerei" zur Übereinstimmung zu bringen ist (107 f).

»Yet the conceptual network that emerges from our analyses of Yoruba meanings is ... critical, sceptical, and empirical in character.«

Barry Hallen /
J. Olubi Sodipo

(138)


6

  Im Zusammenhang damit bieten die Autoren einen kurzen Abriß der Unterschiede des Konzepts von ènìyàn, das normalerweise als Äquivalent für "Person" gilt (105 f), und verwenden die Ergebnisse dieser Analyse, um nicht nur die Hexe als Persönlichkeitstyp bei den Yoruba, sondern ebenso die Fragen darzustellen, die eine systematische Psychologie auf der Grundlage der mit dem ènìyàn-Begriff verbundenen Elemente der "Person" aufzuwerfen und zu beantworten hätte (111 ff).

7

  Diese methodologische Ausrichtung des Buches wird aber auch mit Reflexionen auf die inhaltliche Seite – die Bedeutung für die Frage einer inhaltlich als afrikanisch bestimmten Philosophie – gewendet (vgl. 122 ff). Ich meine nun, daß man vom methodischen Ansatz bei der genauen Analyse von semantischen Feldern und der Unabschließbarkeit des Übersetzungsvorganges direkt in wichtige Gebiete dieser Frage geführt wird. Die Untersuchung macht nämlich natürlich klar, daß man – setzt man die zugrundegelegte und beispielhaft überzeugend angewandte sprachphilosophische Reflexion voraus – keineswegs eine "einheitliche" afrikanische Philosophie zu erwarten hat, die das Denken aller Afrikaner wiedergäbe.

Hans Gerald Hödl
ist Assistent am Institut für Religionswissenschaft der Universität Wien.

8

  Neben dieser sattsam diskutierten, evidenten und plausiblen Tatsache zeigt sie aber auch einen Weg auf, der über die einfache Dichotomie von "Ethnophilosophie" als Ontologisierung traditioneller ethnischer Weltinterpretationen und "akademischer Philosophie" als kritischer Reflexion von Individuen hinaus führt. Auch die kritische Reflexion eines Individuums findet im begrifflichen Netzwerk der von ihm gesprochenen natürlichen Sprache(n) statt. Philosophische Reflexion ist auch (nicht nur) Klärung und Vertiefung des "Sprachgebrauchs". Indem Hallen und Sodipo mit feinen Analysen in dieses begriffliche Netzwerk eindringen, zeigen sie, daß die sprachlich vermittelten Aussagehaltungen (propositional attitudes), die bei oberflächlicher Betrachtung kulturübergreifende Konstanten menschlicher Einstellungen zu sein scheinen, in verschiedenen sprachlichen Systemen so unterschiedlich differenziert sind, daß sie nicht vollständig zur Deckung gebracht werden können. Das kann man als analytischen Beitrag zu einer Philosophie der Differenz lesen, aber auch als Ankündigung einer differenten Philosophie. Eine kritisch-reflektierende philosophische Besinnung im Yoruba könnte demnach eine neue Interpretation allen Geschehens bringen.



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